Montag, 18. Oktober 2010

Antrag auf sofortige Aussetzung von "Tatort Internet"

Schreiben an die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (LPR Hessen), das ich gerade per Email verschickt habe:





EILT SEHR

- mit der Bitte um Empfangsbestätigung-


Antrag / Anregung auf sofortige einstweilige Aussetzung der Sendung „Tatort Internet“ auf RTL 2


Sehr geehrte Damen und Herren,

wie ich der Presse entnehmen konnte

http://www.heise.de/newsticker/meldung/Medienaufsicht-prueft-RTL-II-Sendung-Tatort-Internet-1108034.html

prüfen Sie inzwischen die seit dem 11.10.2010 regulär montagabends um 20:15 Uhr auf RTL 2 ausgestrahlte Sendung "Tatort Internet" auf Vereinbarkeit mit den medienrechtlichen Vorgaben, denen die Sendung unterliegt.

Ich beantrage oder rege hiermit an, die Sendung mit Wirkung von heute sofort auszusetzen, mindestens bis die Einhaltung aller medienrechtlichen Vorgaben sichergestellt ist.

Begründung:

I.

Sowohl durch die Produktion als auch durch die Versendung selbst werden meiner (fachlichen) juristischen Einschätzung nach mehrere Straftatbestände erfüllt. Außerdem werden durch unzureichende Anonymisierung Persönlichkeitsrechte der sogenannten "Täter" verletzt, die sich zudem in der Mehrheit der Fälle gar nicht strafbar gemacht haben.

Zu den verwirklichten Straftatbeständen zählen zweifellos die §§ 201, 201a StGB, wonach heimliche Bild- und Tonaufnahmen sowie deren Versendung ohne Einwilligung des Verletzten strafbar sind (siehe hierzu auch
http://www.internet-law.de/2010/10/tatort-internet-noch-luft-nach-unten.html ).

Das betrifft sowohl die Aufnahmen vor der Konfrontation mit dem Vorwurf, sich mit Minderjährigen verabredet zu haben, als auch die danach angefertigten Aufnahmen. Daran ändert auch die Verfremdung der Aufnahmen vor der Sendung rechtlich gar nichts. Lediglich ein Nachstellen der Szenen mit Schauspielern wäre nicht zu beanstanden, würde den "dokumentarischen" (siehe unten) Charakter aber völlig aufheben.

Für die Situation der Konfrontation mit den Vorwürfen, sich mit Minderjährigen verabredet zu haben, kommt außerdem eine strafbare Nötigung (§ 240 Abs. 1, 2 StGB) in Betracht, weil die "Täter" wahrscheinlich unter Drohungen (mit Strafanzeige, obwohl es sich nicht um ein strafbares Verhalten handelt; mit Versendung des Materials; mit Information des privaten Umfelds) dazu gezwungen werden, sich zu den Vorwürfen zu äußern oder auch nur in der Situation zu verharren. Dabei kann auch eine nicht ausgesprochene Drohung den Tatbestand der Nötigung erfüllen, zumal der Betroffene sich der Situation kaum entziehen kann.

II.

Schon in diesen Straftaten liegen zugleich auch Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der "Täter". Hinzu kommt aber auch eine unzureichende Anonymisierung. So sind bereits in mehreren Fällen Betroffene identifiziert worden. Ein besonders krasser Fall wird von der Süddeutschen Zeitung geschildert

http://www.sueddeutsche.de/medien/tv-sendung-tatort-internet-ein-mann-taucht-ab-der-staatsanwalt-ermittelt-1.1012949

In diesem Fall wurde der Betroffene durch sein Umfeld identifiziert und vom Arbeitgeber gekündigt. Seitdem ist er verschwunden, seine Familie befürchtet, er könnte sich etwas angetan haben. Insoweit kämen sogar Schadensersatzansprüche gegen RTL 2 in Betracht, weil eine derart öffentliche Stigmatisierung durch strafloses privates Handeln eine unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB sein kann (im Falle eines Selbstmords aufgrund dieser Vorgänge kämen auch Schadensersatzansprüche der Hinterbliebenen in Betracht).

III.

In der Art und Weise der Darstellung durch besonders reißerische Schnitte, Spannung erzeugende, verstörende Musik und seltsam verfremdete Stimmen, die eine bizarre Atmosphäre schaffen, sowie die allgegenwärtige Unterstellung, die Betroffenen seien "Kinderschänder" - was weder zutreffen muss noch erwiesen oder gar strafgerichtlich festgestellt ist - kann auch der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sein (§ 130 Abs. 1 StGB). Dies gilt umso mehr, als es sich bei den Tätern um unverschuldet prädisponierte Pädophile handeln kann, die einen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung darstellen.

Dies wird durch die "prominente" Unterstützung der Sendung durch Stephanie zu Guttenberg sogar noch verschärft, denn der Zuschauer erhält so für seinen Hass auf die "Täter" gleichsam eine Erlaubnis von "höherer Stelle", die in seinen Augen "widerliche, armselige Schweine" sind. Dem können sich nicht einmal Menschen entziehen, die man eigentlich für besonnen halten sollte, zum Beispiel Til Schweiger:

http://www.bild.de/BILD/politik/2010/10/18/stephanie-zu-guttenberg/debatte-zu-tatort-internet-auch-til-schweiger-meldet-sich-zu-wort.html

Zitat:

Der Schauspieler fragt: „Wo bleibt der Beifall? Wo ist der empörte Aufschrei über diese widerlichen, armseligen Schweine? Hab ich noch nichts von gelesen, ich lese nur von ‚an den Pranger stellen‘, ‚Hexenjagd‘ usw…

IV.

Für die Sendung spricht auch nicht, dass sie dokumentarischen Charakter hat, denn das ist nicht der Fall. Gegen den dokumentarischen Charakter spricht nicht nur die vorgenannte reißerische Art und Weise der Aufmachung, sondern insbesondere, dass die gezeigten Fälle inszeniert sind.

Obwohl die Sendung den Eindruck zu vermitteln versucht, die gezeigten Chat-Protokolle seien authentisch, ist das schon prinzipiell unzutreffend. Es handelt sich nämlich gar nicht um Chats mit Minderjährigen. Vielmehr geben sich Erwachsene Personen als Minderjährige aus, um sich mit den "Tätern" zu verabreden. Selbst wenn denkbar wäre, dass sich ein "Täter" auch mit einer Minderjährigen verabredet hätte, lässt sich das nicht schon aus den gezeigten Chats schließen, denn diese sind ja von vornherein gerade darauf angelegt, die "Täter" zu einer Verabredung zu veranlassen. Gerade hier liegt der subtile Höhepunkt der Verlogenheit der ganzen Sendung, die selbst Gelegenheiten für "Täter" schafft, um sie dann auszunutzen.

V.

Aus den vorgenannten Gründen bitte ich Sie daher - oder stelle den Antrag, soweit das möglich ist -, die Sendung schon für heute Abend einstweilig zu untersagen. Bitte teilen Sie mir Ihre Entscheidung äußerst kurzfristig mit. Aus den strafrechtlichen Erwägungen heraus werde ich auch Strafanzeige gegen die Verantwortlichen sowie Herrn Til Schweiger stellen.


Mit freundlichen Grüßen,


Anlage: Weitere kritische Artikel über die Sendung


http://www.heise.de/newsticker/meldung/TV-Kritik-Tatort-Internet-Schuetzt-endlich-unsere-Kinder-startete-auf-RTL-2-1104051.html

http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,721974,00.html

http://www.netzpolitik.org/2010/tatort-internet-erster-tater-geoutet/
http://www.netzpolitik.org/2010/seehofer-fur-netzsperren-guttenberg-fur-hartere-gesetze/
http://www.netzpolitik.org/2010/tatort-internet-aufklarung-oder-moderner-pranger/
http://www.netzpolitik.org/2010/tatort-internet-zwischenstand-und-danksagung/

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